Schreiben vom 26.01.2021

… an den Bürgermeister und die Stadträte

Erläuterung des Bürgerbegehrens (gemäß § 7 der Satzung der Stadt Wertingen zum Bürgerbegehren und Bürgerbescheid) sowie Antrag auf Stattgabe

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Lehmeier,
Sehr geehrte Stadträte und Stadträtinnen,

wie aus dem Bericht der WZ „Lehmeier will ein Ratsbegehren zum Turmbau“ vom 23.01.2021 zu entnehmen ist, scheint die Zulässigkeit unseres Bürgerbegehrens mit 1247 gültigen Stimmen gegen das Vorhaben der Reitenberger Bau GmbH nur noch eine Formalie zu sein.
Wir haben uns zu dem Bürgerbegehen entschlossen, weil wir beim Projekt der Fa. Reitenberger Bau GmbH folgende Punkte nicht berücksichtigt sehen:

  • Auf dem Gelände des Krankenhauses sollten nur Bereiche angesiedelt werden, die unmittelbar im Zusammenhang mit der medizinischen Versorgung stehen. Der durch andere Bereiche entstehende Verkehr ist den Bewohnern der umliegenden Wohngebiete nicht zuzumuten.
  • Das geplante Hochhaus fügt sich in keiner Weise in die vorhandene Klinik- und Wohngebietsbebauung ein und ist daher abzulehnen. Außerdem besteht die Gefahr, dass weitere Freiflächen im Stadtgebiet mit Hochhäusern bebaut werden und zu einer zusätzlichen Belastung des Verkehrsaufkommens und der bestehenden Infrastruktur führen
  • Grundstücksflächen auf dem Krankenhausgelände sollten nicht an einen privaten Investor verkauft werden. Durch den Weiterverkauf von Teil- und Wohneigentum an eine Vielzahl fremder Eigentümer und deren unterschiedliche Interessen wird die weitere Entwicklung des Krankenhauses erheblich eingeschränkt. Zudem besteht keinerlei Einfluss des Landkreises bzw. der Kreiskliniken auf die zukünftige Nutzung.
  • Bei der Ansiedlung krankenhausbezogener Nutzungen darf die Innenstadt nicht geschwächt werden.

Bei der Stadtratssitzung am 27.01.2021 soll auch über ein Ratsbegehren „Für ein innovatives Ärztehaus zur Unterstützung und Stärkung unseres Krankenhauses“ entschieden werden.
Dieses Vorgehen ist befremdend, denn die Bürger werden durch verwandte Formulierungen verwirrt und in die Irre geführt. Eine rechtliche Überprüfung der Fragestellung behalten wir uns vor.
Begründung:

  • Die Bürgerinitiative richtet sich erklärtermaßen nicht gegen ein Ärztehaus.
    Im Gegenteil:
    In der Begründung auf dem Stimmzettel des Bürgerbegehrens (fettgedruckt letzter Absatz) heißt es in Satz 2). „wünschenswert wäre daher – statt des „Towers“ mit unter anderem Gewerbe-, Büro- und Wohnnutzung – eine Bebauung für eine krankenhausbezogene Nutzung (Arzt-/Therapiepraxen, Arzt-/Pflegekräftewohnungen) auf weiterhin kreiseigenem Grund“.
    Es geht also nicht um das „ob“, sondern um das „wie“ und „was“ genau auf dem Krankenhausgelände entstehen soll.
    Und es heißt davor in Satz 1).  „Wir streben ein offenes Verfahren an mit einem ganzheitlichen Konzept für den Erhalt des Wertinger Krankenhauses als Haus der Grund- und Regelversorgung, inclusive Lösungen für die schon jetzt angespannte Verkehrssituation.“
    Die Bürgerinitiative ist uneingeschränkt für den Erhalt des Wertinger Krankenhauses, wünscht aber hierzu ein offenes und transparentes Verfahren um die beste Lösung, ohne einseitige Festlegung auf ein vorgegebenes Projekt.
  • Der Stadtratsbeschluss vom 21.10.2020, (Top 4, Nr. 1) sieht einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan für das Projekt „Neubau eines Ärzte-, Gewerbe-, Büro- und Wohnhauses mit Tiefgarage“ vor. Im Ratsbegehren ist nur noch die Rede von einem Ärztehaus mit Facharztpraxen, Gemeinschaftspraxen, Wohnungen insbesondere für Ärzte und Pflegepersonal und einer Tiefgarage, also nicht mehr von einem Gewerbe- und Bürohaus.
    In der Stichfrage wird sogar nur noch von einem Ärztehaus gesprochen. Die krankenhausfremde Nutzung ist jedoch einer der Hauptgründe unseres Bürgerbegehrens. Diese anderweitigen Nutzungen sind nicht zu verhindern, da keinerlei Mitspracherecht des Landkreises bzw. der Kreiskliniken besteht.
  • Aus dem Ratsbegehren geht nicht hervor, dass öffentliche Flächen an einen Privatinvestor verkauft werden. Dieser Sachverhalt stellt aber eine Kernfrage des Bürgerbegehrens dar.

Die jüngsten geplanten Veränderungen am Wertinger Krankenhaus zeigen, wie dringend notwendig ein offenes Verfahren sowie eine breite Diskussion erforderlich ist. Die Entwicklungen beunruhigen nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch viele Wertinger Bürger. Von einer „scheibchenweisen Abwicklung des Wertinger Krankenhauses“ ist die Rede. Auch Berichte, wonach das von der Stadt Wertingen auf dem Krankenhausgelände geplante Pflegeheim, ähnlich wie der elfstöckige Tower, von einem privaten Bauträger realisiert und an Privatinvestoren weiterverkauft werden soll, lösen größte Beunruhigung aus.
Das einzig beständige ist die Veränderung.
Veränderungen wird es auch im Krankenhauswesen geben, vielleicht sogar tiefgreifende. (siehe auch GKV-Positionen zur Krankenhausversorgung aus den Erfahrungen der Corona-Pandemie 2020 vom 02.12.2020). Diese Veränderungen werden sich auf bestehende Krankenhausstrukturen und damit auch auf das Wertinger Krankenhaus auswirken. Wie und in welchem Ausmaß, weiß heute niemand und wird die Zukunft zeigen. Es kommt darauf an, sich diesen Veränderungen zu stellen, aber keine übereilten, sondern möglichst kluge und nachhaltige Lösungen zu suchen.
Dabei sehen wir den Abverkauf von öffentlichen Flächen an Privatinvestoren oder gar die Übertragung von kommunalen Aufgaben wie die Altenpflege an private, ausschließlich gewinnorientierte Investoren als äußerst problematisch an. Selbst im staatlichen Gesundheitswesen, überkommt einem heutzutage immer öfter das Gefühl, weniger als Mensch, sondern eher als „Deckungsbeitrag“ wahrgenommen zu werden. Das ist leider die Realität und in der Privatwirtschaft sieht es noch schlimmer aus, denn dort geht es ausschließlich um Profit. Wo kommen wir hin mit unserem Gemeinwesen, wenn Gemeinnützigkeit anscheinend keine Rolle mehr spielt?
Die Frage ist, ob man dieser Entwicklung entgegenwirkt, oder diese beschleunigt.
Wir glauben, die Stadt Wertingen aber auch der Landkreis Dillingen beschleunigen diese Entwicklung in dem vieles „einfach“ ausgelagert wird. Andere Städte und Landkreise zeigen, dass es möglich ist, erfolgreich Kommunalunternehmen zu führen z. B. die Wertachkliniken (vgl. Pressebericht AZ. vom 06.10.2020). Die Nachbargemeinde Biberbach errichtet aktuell für 3,3 Mio Euro ein Gebäude u.a. für ein Dorfladenprojekt, das sich durch Mieten refinanziert. (vgl. Pressebericht vom 25.01.2021). Warum soll es für den Landkreis, oder die Stadt Wertingen nicht möglich sein, ein Ärztehaus oder ein Pflegeheim zu realisieren?
Angesichts der künftigen Veränderungen am Wertinger Krankenhaus wäre es unseres Erachtens besser, die Planungshoheit nicht aus der Hand zu geben, und schon gar nicht Grundstücke zu verkaufen. Wer weiß heute schon, wie es in 15 oder 20 Jahren auf dem heutigen Krankenhausgelände aussieht. (befindet sich dort ein Krankenhaus mit Hubschrauberlandeplatz, ein Altenheim, eine Schule, ein Gewerbe- oder Wohngebiet, weitere Hochhäuser), eines wäre sicher: der elfstöckige private Turm würde noch immer dort stehen und die weitere Entwicklung in welcher Form auch immer nachhaltig beeinträchtigen.
Auf Fehler der jüngeren Vergangenheit in der Städtebauplanung (Aufgabe von Wegerechten, Planung von Baugebieten ohne schlüssige Erschließung, etc.) soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden.
Außer der Absicht der Fa. Reitenberger, auf dem Krankenhausgelände eine Prestigeobjekt zu errichten, gibt es nach unserer Einschätzung am Wertinger Krankenhaus kein Gesamtkonzept für ein Ärztehaus, keine konkreten Pläne für die Nutzung/ Sanierung des südwestlichen Teils des bestehenden Krankenhausgebäudes (aktuell lediglich als „Umnutzung F“ bezeichnet), keinen konkreten Plan für das Pflegeheim, keinen konkreten Plan für die Krankenpflegeschule, keinen konkreten Plan für das Parkdeck und kein schlüssiges Verkehrskonzept.
Ferner glauben wir, dass konkrete Berechnungen über Synergieeffekte fehlen, ebenso Wirtschaftlichkeitsberechnungen, Vergleichs- und Amortisationsrechnungen, alternative Investitions- und Finanzplanungen und Berechnungen über die Finanzierbarkeit von Eigeninvestitionen trotz nahezu 0 % Zinsen. Wozu auch, es gibt ja nur die eine Lösung, die seit März vergangenen Jahres auf der Homepage des Landkreiseses bzw. der Stadt Wertingen als Ideallösung präsentiert wird. Wie auch für jedes andere Projekt, muss eine Opportunitätsrechnung aufgestellt werden, und zwar von neutraler Stelle, nicht nur von der Fa. Reitenberger.
In Wirklichkeit ist vieles noch ungeklärt, denn die Planungen sind langwierig und schwierig. Sie stehen in Abhängigkeit der weiteren ungewissen Entwicklung und in welchem Umfang das Wertinger Krankenhaus erhalten bleiben soll. Hier besteht ein Kommunikationsproblem, aber auch ein inhaltliches Problem.
Wäre es da nicht besser die nächsten Monate zu nutzen und einen offenen Dialog anzustoßen über Parteigrenzen hinweg, im Austausch mit Stadt-u. Kreisräten, Verwaltungen, Bürgern, Ärzten und Mitarbeitern am Krankenhaus, Anwohnern, Spezialisten für Krankenhausmanagement, Krankenkassen, kassenärztlichen Vereinigungen benachbarten Krankenhäusern, etc. um alle Aspekte miteinzubeziehen und einen breiten Konsens darüber zu erreichen, was genau auf dem Krankenhausgelände künftig entstehen soll?

Damit dies geschehen kann, bitten wir Sie, unserem Bürgerbegehren stattzugeben und damit den Stadtratsbeschluss vom 21.10.2020, Top 4, Nr. 1, in dem sich die Stadt Wertingen bereit erklärt, auf Antrag des Investors einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan gemäß §§ 12, 13a BauBG für das Projekt, „Neubau eines Ärzte-, Gewerbe-, Büro- und Wohnhauses mit Tiefgarage“ aufzustellen, aufzuheben.

Mit freundlichen Grüßen

gez. Klaus Lang

stellv. für die Bürgerinitiative: „für das Krankenhaus – gegen den Tower“